Jahwe – ein Incel? (Hesekiel 26)

„Mädchen gaben ihre Zuneigung, Liebe und Sex anderen Männern, aber nie mir.“

Elliot Oliver Robertson Rodger, Amokläufer von Isla Vista 2014


Es gibt unattraktive Männer, die ihre Schwierigkeiten, was Sex und Liebe betrifft, nicht sich selbst oder dem Schicksal zur Last legen, sondern den Frauen, bei denen sie nicht ankommen. Es handelt sich also um arme Schweine, die gleichzeitig Arschlöcher sind. Denn dass auch der stärkste Wunsch kein Anrecht auf das Gewünschte gibt, ist eine Wahrheit, die Menschen aller Intelligenzstufen bekannt ist. Wer sie leugnet, tut es wider besseres Wissen.

„Frauen, die mich nicht wollen, verdienen zu sterben!“ – Äußerte jemand in der vordigitalen Zeit eine solche Meinung, riskierte er, zurechtgewiesen und ausgegrenzt zu werden. Darin bestärkt wurde er nur, wenn ihm ein anderes Arschloch derselben Kategorie gegenübersaß, was wenig wahrscheinlich war.

Heute ist das anders. Wer abseitige Ansichten vertritt, kann sie im Internet unter Gleichgesinnten äußern und sich als Vertreter einer Mehrheit fühlen. Und er kann sich dort ein Etikett abholen und es mit Stolz auf die Innenseite seiner Stirn kleben: Er ist jetzt kein Nichts mehr, sondern ein „Incel“. Läßt er seinen Worten Taten folgen und erschießt ein paar der Frauen oder Mädchen, die bösartig genug waren, ihn unattraktiv zu finden, wird er zum Helden und kann damit rechnen, dass weitere Helden seinem Beispiel folgen.

Im sechsten Jahrhundert vor Christus gab es noch kein Internet. Ein Incel in jener Zeit musste sich geschlossen halten. Es sei denn, er war Gott.

Gott sprach selten mit seinem eigenen Mund, als „Stimme vom Himmel“. Gewöhnlich bediente er sich des Mundes von Propheten. Für sein Outing als Incel benutzte er den Propheten Hesekiel, der eigentlich Ezechiel hieß, und der ihn – wie wir sehen werden – nicht richtig verstand oder verstehen wollte. In Hesekiel 23 erzählt Jahwe ihm seine Geschichte, die Geschichte einer gescheiterten Doppelehe*:

Ez 23,2 [...] Es waren einst zwei Frauen, Töchter der gleichen Mutter.
Ez 23,3 Sie trieben Unzucht in Ägypten, schon in ihrer Jugend trieben sie Unzucht; dort griff man nach ihren Brüsten, dort streichelte man ihre jugendliche Brust.
Ez 23,4 Die ältere hieß Ohola, ihre Schwester Oholiba. Sie wurden meine Frauen und gebaren Söhne und Töchter. [...]

Dass es Jahwe als Ehegatten an Attraktivität mangelt, ist schon jetzt überdeutlich. In einer Zeit, in der Jungfrauen das bräutliche Ideal sind und Kinderehen mehr Regel als Ausnahme – wer gibt sich da zufrieden mit Frauen, die jenseits ihrer Jugend sind, und ausserdem sexuell erfahren? Denn dass die Ägypter über die Brüste nicht hinausgekommen sind, ist unwahrscheinlich. – Auch die Namen deuten auf eine Herkunft aus der Halbwelt. Seriöse Frauen in der Bibel heißen Sarah oder Miriam, aber nicht Ohola und Oholiba. – Dass Geld geflossen ist (etwa an die Mutter des Etablissements), kann man vermuten.

Die Ehe geht denn auch – trotz der erzeugten Nachkommen – schief. Die beiden Halbweltschwestern betrügen Jahwe, nicht nur einmal, sondern mehrfach und in aller Öffentlichkeit. Charakteristisch ist der Hinweis auf das gute Aussehen der Liebhaber:

Ez 23,5 Ohola wurde mir untreu. Sie hatte Verlangen nach ihren Liebhabern, den kriegerischen Assyrern,
Ez 23,6 den in Purpur gekleideten Statthaltern und Herren; alle waren begehrenswerte junge Männer, Reiter hoch zu Ross.

Oholiba folgt dem Beispiel ihrer Schwester. Folgende Verse setzen dem Leser ein weiteres Licht auf:

Ez 23,14 Doch Oholiba ging noch weiter in ihrem unzüchtigen Treiben: Sie sah mit Mennig gemalte Wandzeichnungen chaldäischer Männer,
Ez 23,15 die um die Hüften einen Lendenschurz und auf dem Kopf einen herabhängenden Kopfbund trugen. Alle sahen aus wie Helden, wie Babylonier.

Jeder kennt Menschen, die der Schönheit ihres Gesichtes misstrauen und es daher ablehnen, fotografiert zu werden. Oholiba hat es offensichtlich satt, ihr Bett mit einem Hässlichen zu teilen, der unter eben diesem Komplex leidet („Du sollst dir kein Bildnis machen“). Sie zieht die Babylonier vor, die selbst auf einer Mennigezeichnung noch eine gute Figur machen und physische Tugenden besitzen wie die Ägypter aus ihrer Teenagerzeit, Tugenden, die ihrem Ehemann Jahwe offenbar abgehen:

Ez 23,20 Und es erwachte in ihr die Gier nach ihren Liebhabern, deren Glieder wie die Glieder der Esel und deren Erguss wie der Erguss der Hengste waren.

Jahwes Experiment mit den Frauen endet also im Fiasko, was ihn zum Frauenfeind aus Unattraktivität werden läßt – zum Incel. Wie alle Incels ergeht er sich in Rachephantasien, stellt sich in blutrünstigen Details vor, wie die Schwestern von ihren ausländischen Liebhabern umgebracht werden (was nicht passiert, denn sie sind am Ende des Kapitels noch am Leben), und ruft schließlich sein Sprachrohr Hesekiel dazu auf, eine Volksversammlung zu organisieren:

Ez 23, 47 Die Volksversammlung soll sie steinigen und mit Schwertern in Stücke hauen. Ihre Söhne und Töchter soll man töten und ihre Häuser verbrennen.

Doch wir müssen uns um Ohola und Oholibaba keine Sorgen machen – der Prophet weigerte sich einfach, Gottes Geschichte als das zu nehmen, was sie war, nämlich das traurige Hassgeschwätz eines Arschlochs. Er entschied sich stattdessen für eine allegorische Deutung:

Ez 23,4 [...] Der Name Ohola meint Samaria, Oholiba Jerusalem.

Und Jahwe, dem plötzlich klargeworden war, dass er sich nicht in einer Incel-Chatgruppe, sondern in Gesellschaft eines frommen Mannes befand, widersprach Hesekiel nicht. Seine Frauenfeindlichkeit sollte er allerdings nie wieder los werden. – Unterdessen ist er verstorben und ruht mit seinen engsten Angehörigen auf dem Waldfriedhof Gerresheim, in Düsseldorf (siehe Foto).


* Bibeleinheitsübersetzung von 1980, zitiert nach https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/ez23.html

Rotkehlchengott

rrrWenn man in seiner Wohnung raucht, hat das – meiner Erfahrung nach – den Vorteil, dass die Zahl der Spinnen abnimmt, die den Mietern mitunter (meist nach Einbruch der Dämmerung) als beweglicher Ekelfleck ins Blickfeld krabbeln. Davon abgesehen, ist es kein Benehmen, das ich empfehle: Der Teerbelag auf Wänden und Mobiliar ist nicht nur schädlich für Ungeziefer sondern bildet auf hellen Flächen gelbliche Schleier aus, die im Laufe der Zeit dunkler werden – nicht braun, obwohl Braun farbtheoretisch das dunkle Gelb ist, sondern grau. Natürlich stinkt diese Schicht nach dem teuren Nikotin, das sie enthält und nach einigen Jahren Wachstum könnte man sie abkratzen und in die Pfeife stopfen.

Da ich keine Pfeife habe und daher keine Verwendung für Stinkbeläge, rauche ich gewöhnlich auf dem Balkon, was allerdings nicht immer angeht. Die Balkontür befindet sich im Schlafzimmer, sie ist nicht geräuschlos bedienbar. Wenn meine Mitbewohnerin dort ruht, will ich sie nicht wecken und mich dafür – let’s call a spade a spade – anmeckern lassen. Unter solchen Umständen stelle ich mich mit meiner Zigarette an das Küchenfenster, das zu allen Tageszeiten auf Kipp steht und so die erwähnte Schleierbildung erschwert.

Am vorletzten Sonntag ereignete es sich, es war ein kalter und trüber Morgen, dass ich gegen 10 Uhr mit einer frisch gestopften und chemisch noch inaktiven Zigarette in den Fingern die Küche betrat und sie – besetzt fand. Nicht von meiner Mitbewohnerin, die im Bett lag, auch nicht von einem Einbrecher oder Nachtmahr, sondern von einem Rotkehlchen. Es saß auf dem runden schwarzen Plastikdeckel des Smoothie-Mixers, wo es nicht hingehörte. Ich störte es beim Stuhlgang, das stellte sich aber erst später heraus.

Rotkehlchen sind hübsche, kleine Vögel, denen man ihre Abstammung von großen Raubsauriern nicht ansieht. Sie haben den carnivoren Lebensstil dieser Vorfahren geerbt, zerreißen aber nicht mit Hilfe scharfer Gebisse andere Dinos, sondern picken mit Schnäbeln nach Mücken und Würmchen. Einen Teil der Lebendnahrung finden sie in den Spuren großer Tiere, deren Nähe  sie aus diesem Grunde suchen, wobei – wie bei evolutiv erworbenen Verhaltensweisen üblich – nur der Mensch allein den Sinn der Sache kennt und die Rotkehlchen selbst nichts davon wissen: Sie fühlen sich ganz einfach wohl in der Gegenwart von Geschöpfen, die im Vergleich zu ihrer eigenen Größe monströs sind. Was sie nicht persönlich meinen, wie man es Rotkehlchen gerne unterstellt, wenn man sie für „zutraulich“ hält.

Das plötzliche Erscheinen meiner gigantischen Person war für das Rotkehlchen auf dem Mixer wohl etwas zuviel Nähe: Es machte sich auf eine rasche Flucht nach oben, die an der Fensterscheibe stockte, bevor es sich auf dem Rand der Spüle erneut niederließ. Von dort aus beäugte es mich. Vielleicht dachte es: „Das ist ja nur ein großes Vieh, was beunruhige ich mich? Ich sollte seine Fährte auf Würmer untersuchen“, doch dieser Gedanke war nicht nachhaltig, denn es versuchte erneut, durch das Glas zu fliegen und flatterte verständnislos an der Scheibe wie ein Insekt – was seine Intelligenz in ein zweifelhaftes Licht rückte. Insbesondere, da die Scheibe keineswegs brillantklar unsichtbar war, sondern schmutzig. Ich wäre sicher nicht dagegen geflogen.

Es half nichts, ich musste etwas tun, wenn ich nicht riskieren wollte, dass der panische Vogel sich das mit dem transparenten Festkörper überforderte Köpfchen einstieß. Die vollständige Öffnung des Fensters war das Verfahren der Wahl, da nicht damit zu rechnen war, dass dem Rotkehlchen noch einfallen würde, wie es in die Küche hineingekommen war, nämlich durch den Fensterspalt. (Abgesehen davon, dass es auch noch hätte schlussfolgern müssen, dass der umgekehrte  Weg ins Freie führt.)

Natürlich war das Fensterbrett vollgestellt, nämlich mit Topfpflanzen von der genügsamen und etwas verstaubten Sorte. Denen macht meine Nähe überhaupt keine Angst, so dass sie sich, im Unterschied zum Vogel, nicht von alleine entfernten, als ich auf das Fenster zuschritt. Sie wollten getragen werden, während das Rotkehlchen in den hinteren Raumteil flatterte, wo es sich still verhielt, während ich tätig war. Vielleicht spähte es auf dem Küchenboden nach den Tierchen, die meine Hufen freigelegt hätten, wäre ich z. B. ein Rind auf schlammigem Feld gewesen.

Oder es hatte mich richtig als Gott  identifiziert, der soeben ein unbegreifliches Wunder ins Werk setzte, um ihm die Freiheit wiederzugeben. Jedenfalls schnurrte es an meinem Kopf vorbei, als das Fenster endlich offenstand. Es flog sehr schnell, wie aus der Pistole geschossen, in gerader Linie durch unseren Garten, über den Lebensbaum hinweg und verschwand in der nebligen Ferne ohne sich ein einziges Mal umgeblickt zu haben, wodurch es seine Unhöflichkeit bewies. – Ich verzieh ihm.