Siegen lernen

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Der Griff nach dem Sieg

Eigentlich wollte ich mich, wegen des Luther-Jahres, mit dem pöbelnden Reformator beschäftigen. Nun habe ich die Luther-Biographie zur Seite gelegt und befasse mich stattdessen mit President-Elect Trump, der mit Luther mehr gemein hat als nur den Hang zum Pöbeln. Martin Luther konnte – genau wie Donald Trump – auf deutsche Großeltern stolz sein und wie Trump überwand er arrogante Gegner aus dem Establishment durch den gekonnten Einsatz neuer Medien, wobei es sich in Luthers Fall um den Buchdruck handelte.

Beide Männer haben historische Bedeutung, die von Luther besteht u. a. darin, dass seine Tätigkeit eine Kette von Glaubenskriegen zur Folge hatte: Nach dem letzten lag Deutschland in Trümmern, ein Drittel seiner Bewohner war tot. – Da Trump noch nicht am Ende seines Wirkens ist, lässt sich seine historische Bedeutung und ob sie der von Luther gleichkommt noch nicht abschätzen, obwohl man bereits sicher sein kann, dass er eine hat. Selbst wenn seine Karriere noch vor Amtsantritt mit irgend einem lächerlichen Rückzug enden sollte (was ich mir vorstellen kann) – der Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm sicher.

Der SPIEGEL zeigt auf dem Titelblatt einen Trump, der als glühender Komet auf die Erde losstürzt. Ich halte das für übertrieben. Wenn Trump fatal ist, dann sicher nicht für die ganze Welt. Jede Katastrophe hat auch ihre Günstlinge: Als die Osmanen Konstantinopel eroberten, ruinierte das den Gewürzhandel, aber es nützte den heimischen Kräutern, denn man brauchte sie jetzt als Ersatz. Der Untergang des oströmischen Reiches war der Beginn des Aufstiegs der Petersilie, die wir heute noch verwenden, obwohl sie schlechter schmeckt als die Gewürze Indiens. Ein cleverer Geschäftsmann hätte im Donnern der türkischen Kanonen das Zwitschern eines Vögelchens gehört: „Investiiiier in Petersiiilie!“

Wollen auch wir clever sein, sollten wir uns fragen, welcher Profit sich aus dem Einschlag des Kometen Trump ziehen lässt, anstatt entsetzt in den Himmel zu glotzen – wie die Schauspieler in Sturm/Kometen/Alien-Schinken der B-Klasse. Wir können den beleidigenden Stil von Trumps Wahlkampf als Ende der demokratischen Kultur bejammern, doch besser machen wir uns klar, dass dieser Stil seit letztem Mittwoch vom Erfolg geadelt ist. Man wird ihn kopieren, auch bei uns! Was das betrifft, heißt nämlich von Trump lernen siegen lernen – jedenfalls wird man das denken, und in deutscher Musterschülerhaftigkeit wird man es übertreiben.

Die Sprichwortlexika, aus denen die deutschen Politiker bislang ihre Volkstümlichkeiten, die durchs Dorf getriebenen Säue usw. bezogen, sind mit einem Schlag wertlos. – Was Politiker ihre Wahlkampfbürosklaven jetzt einkaufen lassen, sind Schimpfwortverzeichnisse. Unverschämte Lügen kann man auch ohne Lexikon produzieren, aber in einer öffentlichen Diskussion wird man auf eine Beleidigung aus dem Mund des politischen Gegners mit einer eigenen antworten müssen, und es darf nicht dieselbe sein. Hier benötigt man einen Vorrat, reichhaltig und flexibel, und ohne Fremdwörter, die überheblich wirken („Arschgesicht“ ist gut, „Butthead“ ist schlecht, denn das versteht nur die Elite). – Für solche Nachschlagewerke entsteht ein Markt, gerade jetzt, und wer clever ist, investiert dort, denn es ist ein goldener Markt.

Ich meine das ganz ernst. – Es mag sein, dass Trump in den nächsten Wochen der Kuckuck aus der Stirn springt* (ich habe das aus der ZEIT, die den Ausdruck von Gore Vidal hat), so eindrucksvoll, dass seine Amtsunfähigkeit auch für Rust- oder Bible-Belt-Bewohner sichtbar wird. Vielleicht stellt sich auch heraus, dass Putin Trump erheblich mehr zuwachsen liess als warme Worte und Clinton-Mails, oder irgendeine andere Scheiße aus seiner scheißereichen Familien- und Firmengeschichte fliegt in den Ventilator und The Donald um die Ohren. – Auch wenn das passieren sollte, und uns Trump als amtierender US-Präsident erspart bleibt: Die Tatsache, dass jemand in einer großen und alten Demokratie mit solchen Mitteln einen Wahlsieg erzielt hat, bleibt und wird nachwirken.

* Man denke hier an eine Kuckucksuhr, nach Mussolini / Orson Welles (in „Der dritte Mann“) die bedeutendste Hervorbringung der Schweizer Nation, über welche Trump – meines Wissens – noch nichts Abschätziges gesagt hat.